Wie „Sicherheitsexperten“ Deutschland tiefer in den Ukraine-Krieg treiben und es dabei mit den Fakten nicht so genau nehmen. I. Claudia Major: Seriöser Auftritt, unseriöse Argumentation
Triggerwarnung: Kann Spuren von Sarkasmus und Ironie enthalten
Dr. Claudia Major, Forschungsleiterin für Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, hat der Ukraine-Krieg zu Omnipräsenz in Nachrichtensendungen, Talkshows und Printmedien verholfen. Major ist telegen und kann vollständige und überzeugend klingende Sätze formulieren. Sie wirkt seriös und
kompetent. Die Medien müssen bei ihr auch keine Überraschungen befürchten, sie argumentiert stets wie bestellt für mehr Waffenlieferungen. Jetzt wo die Ukraine endlich den Schützenpanzer Marder erhält, soll möglichst bald auch der Kampfpanzer Leopard folgen. Auf Twitter bringt Major ihre Begeisterung dafür deutsche Panzer in Regionen zu schicken, in denen diese Mordwerkzeuge zuletzt vor rund 80 Jahren anzutreffen waren, gern unter dem lustigen Hashtag #FreetheLeopard zum Ausdruck.
Immer mehr Waffen in die Ukraine zu schicken ist logisch für Major, die blitzgescheit erkannt hat, dass die Russen nicht freiwillig aus der Ukraine verschwinden werden, und daraus folgert die Ukraine müsse Waffen aus Deutschland erhalten, die geeignet sind, die Invasoren zu vertreiben. Mit den Implikationen, die das für die Sicherheit Deutschlands haben könnte, wenn russische Soldaten mit Hilfe deutscher Panzer massenweise vom Leben zum Tode befördert werden, hält sich die in Deutschland zu Sicherheitspolitik forschende und von befreundeten Medien gern als brillant titulierte Sicherheitsexpertin nicht auf. Das scheint für sie eine ähnlich untergeordnete Rolle zu spielen, wie für die ebenso brillante Außenministerin Annalena Baerbock, die Interessen ihrer deutschen Wähler.
Wenn es der guten Sache dient, also der Lieferung von Kettenfahrzeugen in das Kriegsgebiet, dann nimmt es die Wissenschaftlerin auch mit Fakten nicht so genau und verzichtet auf Differenzierung. In einem Interview mit dem RND am 30.12.2022 sagte Major: „Solange Russland immer noch daran festhält, dass die Ukraine kein Existenzrecht habe und ausgelöscht gehöre, wie von Putin und Verteidigungsminister Schoigu am 21. Dezember wiederholt, müssen wir weiter mit Angriffen rechnen.“
Dummerweise findet sich in den Reden von Putin und Schoigu, auf die sich die angeblich so brillante Sicherheitsexpertin bezieht, nirgendwo eine Aussage, wonach die Ukraine „ausgelöscht gehöre“. Major muss sich das ausgedacht haben. Nachfragen hierzu ignoriert die vielbeschäftigte und viel twitternde Dame. Wahrscheinlich, weil es gleichgültig ist, ob Putin und Schoigu wirklich gesagt haben, was Major behauptet, denn es passt ja in jedem Fall bestens ins Narrativ und kann als Begründung von #FreetheLeopard dienen.
Einem Frieden durch irgendeine Art von Kompromiss gibt Major keine Chance. Sie erklärt im Interview mit dem RND: „Und die Ukraine weiß, dass sie keine andere Option hat, als so lange zu kämpfen, bis alle Gebiete befreit sind. Gerade nach den Berichten aus Butscha, Irpin und Mariupol ist klar, dass jegliche Art von russischer Besatzung für die ukrainische Bevölkerung dort Vernichtung und Unterdrückung bedeutet – und das Ende für die Ukraine als eigenständiges Land. Es ist ein Vernichtungskrieg.“
Auf den alternativen Gedanken, dass es nicht die Besatzung, sondern der Krieg ist, der zu den Kriegsverbrechen von Butscha, Irpin und Mariupol führt und man den Krieg beenden, wenigstens einfrieren müsste, um weitere Kriegsverbrechen zu verhindern, kommt die talentierte Sicherheitsfrau nicht. Damit auch sonst niemand auf derartige Gedanken kommt, betont Major apodiktisch, dass es sich nicht nur um einen grausamen Krieg handele, sondern um einen „Vernichtungskrieg“. Nach Auskunft der Schrottsammelstelle (Wikipedia) ist ein Vernichtungskrieg folgendermaßen definiert: „Ein Vernichtungskrieg ist ein Krieg, dessen Ziel die vollständige Vernichtung eines Staates, eines Volkes oder einer Volksgruppe und die Auslöschung dieser soziopolitischen Entität durch die massenhafte Ermordung der Bevölkerung oder die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage ist.“
Trotz der mörderischen Zerstörungen, die die russische Kriegsmaschine in der Ukraine anrichtet, kann man Zweifel haben, ob diese Beschreibung zutreffend ist. Man könnte sich zum Beispiel fragen, warum die Russen erst mehr als ein halbes Jahr nach Beginn der Invasion damit begonnen haben, systematisch die Infrastruktur der Ukraine anzugreifen. Gerade als Deutsche sollte die Frau mit dem Offiziersrang als Namen etwas zurückhaltend damit sein, Russland einen Vernichtungskrieg zuzuschreiben, da Deutschland gegen die Sowjetunion und damit gegen Russland und die Ukraine das Paradebeispiel für einen solchen geführt hat. Differenzierung und seriöse Argumentation sind aber, wie es scheint, nicht die Sache der seriös auftretenden Claudia Major.
Die Expertin ist erkennbar unglücklich, dass es in Deutschland immer noch so gutgläubige Menschen gibt, die meinen man müsse der Diplomatie eine Chance geben und redet diesen Naivlingen nochmal ins Gewissen: „Viele Menschen glauben immer noch, die Ukraine hätte eine Wahl zwischen Krieg einerseits und Verhandlungen und Frieden andererseits. Damit verkennen sie aber komplett die Lage. Die Ukraine hat nur die Wahl zwischen Krieg und Vernichtung: Krieg, also die russisch besetzten Gebiete zu befreien, oder unter russischer Besatzung – wie in Irpin oder Isjum – vernichtet zu werden.“
Interessant ist aber nicht nur, was Major für berichtenswert hält, sondern auch, worüber sie schweigt. Putin und sein Kriegsminister haben in besagten Reden tatsächlich Aussagen getätigt, die irgendwie in Widerspruch zu Majors Erzählung zu stehen scheinen.
Schoigu sagt zum Ukraine-Krieg: “At the same time, every measure is being taken to rule out civilian deaths.” Und Putin äußert sich zu seinem Verhältnis zu dem Land, in das er seinen Truppen einzufallen befohlen hat folgendermaßen: “You know my position on this matter: we have always treated the people of Ukraine as a brotherly nation. I still think this way. What is currently happening is, of course, a tragedy.”
Das klingt zynisch und nur bedingt glaubwürdig angesichts des von Russland entfesselten mörderischen Krieges, aber es lässt doch Zweifel an der von Major behaupteten Vernichtungsabsicht Russlands und der reklamierten Aussichtslosigkeit von Verhandlungen aufkommen. Zumal ohnehin rätselhaft ist, warum Sicherheitsexperten wie Major sich nicht dafür einsetzen, es mit Diplomatie einfach mal zu versuchen. Im schlimmsten Fall stellt sich heraus, dass sie Recht hatten mit ihrer Behauptung, wonach Verhandlungen aussichtslos seien.
Selken schreibt: »Das klingt zynisch und nur bedingt glaubwürdig angesichts des von Russland entfesselten mörderischen Krieges,«
Die Formulierung, Russland habe den Krieg "entfesselt", ist angesichts der merkelschen Bekenntnisse zur NATO-Erweiterung und den Abkommen von Minsk nicht haltbar, meine ich.
Ansonsten ein sehr guter Beitrag.