Was hätte Carlo Masala Putin empfohlen?
Triggerwarnung: Kann Spuren von Ironie und Sarkasmus enthalten.
Deutschland darf sich glücklich schätzen. Das Land der Dichter, Denker und Ingenieure ist auch mit großartigen Sicherheitsexperten gesegnet. Markus Keupp hat fleißig kaputte Panzer gezählt und zuverlässig ausgerechnet, dass Russland den Krieg im Herbst 2023 verloren hat. Claudia Major hat sich mit messerscharfer Intelligenz ausgedacht, dass Russland einen Vernichtungskrieg gegen das Brudervolk in der Ukraine führt (also wohl in etwa so wie Wehrmacht und SS ab 1941 gegen die Sowjetunion) und erklärt den furchtbar friedensverliebten Deutschen, dass es sich um eine Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse handelt, zwischen Gandalf samt Gefährten und Sauron mit seinen Orks. Ihr Gatte Christian Mölling kennt die Motive Putins und erklärt schon jetzt, wie der nächste Krieg, den der Schuft unweigerlich anzetteln wird, vielleicht gerade noch verhindert werden kann. Über Ihnen allen thront der begnadete Dampfplauderer Carlo Masala, der zwar nicht gedient hat, aber an der Universität der Bundeswehr denkt, lenkt und lehrt.
Ohne diese großartigen Berater wären Politiker und Talkshowmoderatoren in der komplexen geopolitischen Realität unserer Zeit hilf- und ratlos. Sie erklärten der deutschen Öffentlichkeit, dass man mit Putin nicht verhandeln könne und das Putin nicht verhandeln wolle, nachdem Putin und Selenski kurz nach Kriegsbeginn unter Vermittlung der Türkei einen Kompromissfrieden ausgehandelt hatten. Zum Glück wurde der elende Frieden von Boris Johnson, Victoria Nuland und ihren Spießgesellen sabotiert. Ein schnelles Ende des Stellvertreterkrieges hätte bestimmt nur Putin genutzt, zumindest wenn man von Nebensächlichkeiten wie den hunderttausenden Getöteten und Verstümmelten seither einmal absieht.
Ohne die brillante Politikberatung von Major Carlo Mölling & Co. wäre wahrscheinlich erst die Ukraine und dann Deutschland von russischen Panzerarmeen überrollt worden. Die Experten haben unermüdlich für immer mehr Waffen für die Ukraine geworben, erst Helme, dann Marder und Leoparden und schließlich Taurus. Wenn sie sich einen Vorwurf machen müssen, dann den, dass sie den zaudernden Bundeskanzler Scholz immer noch nicht von der Notwendigkeit überzeugen konnten, den Taurus endlich auf die Kertsch-Brücke oder Moskau abzufeuern. Bei Bundeskanzler Merz und Verteidigungsminister Kiesewetter werden sie bestimmt mehr Erfolg haben.
Vordenker Masala ist schon einen Schritt weiter: Er hat erkannt, dass der Ukraine das Kanonenfutter ausgeht und fordert, in Europa eine „Koalition der Willigen“ zu schmieden, die ihre eigenen jungen Männer und Frauen in der Ukraine in den Fleischwolf schickt. Das ist nur konsequent, denn wenn in der Ukraine unsere Demokratie und Freiheit verteidigt wird, wie noch vor wenigen Jahren am Hindukusch, dann können auch unsere Söhne und Töchter dafür sterben oder zu Krüppeln werden. Folgt die Politik dem Rat Masalas, schickt die Wunderwaffe Taurus und frisches Kanonenfutter, dann ist der Krieg sicher bald vorbei, die Ukraine siegreich und Putin kommt vor den Internationalen Gerichtshof. Im Gefängnis kann er dann darüber nachdenken, was ihm der brillante Carlo Masala als sein Sicherheitsberater geraten hätte.
Was also hätte Masala Putin empfohlen, wenn das Schicksal ihn als Russen geboren und zum Sicherheitsberater des russischen Präsidenten gemacht hätte?
Im Jahr 1990 versicherte der damalige deutsche Außenminister Genscher dem sowjetischen Präsidenten Gorbatschow, dass die NATO im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung und der Auflösung des sowjetischen Militärbündnisses Warschauer Pakt eine "Erweiterung ihres Territoriums nach Osten, d.h. eine Annäherung an die sowjetischen Grenzen" nicht vornehmen werde. Unmittelbar danach erklärte auch US-Außenminister Baker gegenüber Gorbatschow, dass eine NATO-Erweiterung inakzeptabel sei. Wenig später, 1992, erzielte die Bush senior-Regierung einen internen Konsens über die Osterweiterung der NATO und schon 1999 wurde das mit der Aufnahme von Polen, Ungarn und Tschechien in die Tat umgesetzt. Die Russen murrten, aber konnten nichts dagegen ausrichten. Weitere Erweiterungsrunden mit insgesamt 13 neuen NATO-Staaten folgten bis 2024.
Im Juni 2002 traten die USA einseitig aus dem ABM-Vertrag aus, um sechs Jahre später die Stationierung ballistischer Raketenabwehrsysteme in Rumänien und Polen anzukündigen. Russland sah seine Zweitschlagfähigkeit und damit das nukleare Gleichgewicht des Schreckens bedroht. Masala hätte den Russen erklären können, dass die Systeme nichts mit Russland zu tun haben, sondern allein gegen aus dem Iran möglicherweise anfliegende Raketen gerichtet sind.
Im Februar 2007 fiel Putin erstmals richtig negativ auf: In seiner Rede vor der Münchner Sicherheitskonferenz kritisierte er scharf den angeblichen Versuch der USA, eine unipolare Welt zu schaffen und die NATO-Erweiterung zu diesem Zweck zu instrumentalisieren: "Ich denke, es ist offensichtlich, dass die NATO-Erweiterung ... eine ernsthafte Provokation darstellt, die das gegenseitige Vertrauen verringert. Und wir haben das Recht zu fragen: Gegen wen ist diese Erweiterung gerichtet? Und was ist aus den Zusicherungen geworden, die unsere westlichen Partner nach der Auflösung des Warschauer Paktes gegeben haben?" Sicherheitsberater Carlo hätte Wladimir sicherlich erklärt, dass sich die NATO-Osterweiterung natürlich gegen niemanden richte, da die NATO ja ein rein defensives Verteidigungsbündnis ist. Als Beleg hätte der Experte die Bombardierung Serbiens im Jahr 1999 durch die NATO zum Zwecke der Verteidigung der abtrünnigen Kosovaren angeführt.
Da Putin diese tiefgründige Erkenntnis verwehrt blieb, spitzte sich die Situation mit dem NATO-Gipfel in Bukarest im April 2008 zu. Die Russen hatten im Vorfeld unmissverständlich klargemacht, dass eine Aufnahme der Ukraine und Georgiens in die NATO für sie eine leuchtend rote Linie sei: "Njet means Njet“, meldete der damalige Botschafter in Moskau und heutige CIA-Chef William Burns nach Washington. Kurioserweise wollte Putin keine Stützpunkte und Raketen des mächtigsten Militärbündnisses der Welt unweit von Moskau. Bush junior war aber der Meinung man müsse die Russen nicht so ernst nehmen, und setzte einen Beschluss durch, wonach die Ukraine und Georgien eines Tages NATO-Mitglieder werden sollen. Die Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung hatte daran zwar zu diesem Zeitpunkt überhaupt kein Interesse, aber das spielte für das Bündnis der Demokratien natürlich keine Rolle.
Putin war nicht amüsiert, beruhigte sich aber bald wieder, weil in der Ukraine der in die NATO strebende Präsident Juschtschenko bei der anstehenden Neuwahl nur noch 5,5% der Stimmen erhielt und durch Präsident Janukowitsch ersetzt wurde, der eine Schaukelpolitik zwischen dem Westen und Russland versuchte. Für einige Jahre wurde es etwas ruhiger rund um die Ukraine, bis der demokratisch gewählte Präsident unter tatkräftiger Mithilfe militanter rechtsextremer Gruppen und der westlichen Demokratien, insbesondere der USA, 2014 aus Amt und Land vertrieben und durch eine Regierung ersetzt wurde, die keinen Zweifel an ihrer Abneigung gegenüber Russland und ihrem heißen Wunsch nach einer NATO-Mitgliedschaft ließ.
Putin hat das ganz und gar nicht gefallen. Der russische Präsident annektierte im Handstreich, ganz ohne Gegenwehr die Krim, deren Bevölkerung dagegen keine großen Einwände zu haben schien, und förderte separatistische Kräfte im Donbas. Das war natürlich ein katastrophaler Fehler, wie Masala als russischer Sicherheitsberater Putin sicher erklärt hätte. Auf der Krim, deren Bevölkerung zwar überwiegend russisch war, die aber durch ein Laune Chruschtschows 1954 halt Teil der Ukraine wurde, hätten die Russen ja immer noch Urlaub machen können. Mit Masala als Berater hätte Putin bestimmt auch verstanden, dass die seit 1783 in Sewastopol stationierte Schwarzmeerflotte getrost anderswo vor Anker gehen oder auch verschrottet werden kann. Das Schwarze Meer will und kann die NATO schließlich ganz allein bewachen, die Schwarzmeerflotte wäre also überflüssig.
Auch im Jahr 2021 wäre Carlo Masala als Berater Putin noch eine große Hilfe gewesen. Beim Gipfel im Juni 2021 in Brüssel bekräftigt die NATO erneut ihre Absicht, die Ukraine aufzunehmen, und kurze Zeit später erklärte Präsident Biden bei einem Besuch von Präsident Selenski in Washington seine Unterstützung für die NATO-Bestrebungen des Landes. Masala hätte Putin sicher erklärt, dass das alles nicht so ernst gemeint sei und man dem Westen sowieso blind vertrauen könne. Vielleicht wäre es dem begnadeten Schwätzer sogar gelungen, Wladimir Wladimirowitsch davon zu überzeugen, das große Nachbarland, mit dem es mehr als 300 Jahre vereint war und in dem rund 20% ethnische Russen leben, zu ermuntern, Mitglied des mächtigen Militärbündnis zu werden, welches die Hälfte der weltweiten Militärausgaben aufbringt. Einem Militärbündnis mit der „unverzichtbaren Nation“ USA an der Spitze, die nahezu ununterbrochen irgendwo auf der Welt selbstlos Krieg führt oder sich mit anderen Methoden um Regime Change für die gute Sache bemüht, mit oder ohne UN-Mandat, wie es gerade passt. In der Ukraine hätten die USA selbstverständlich weder gegen Russland gerichtete Militärstützpunkte noch Raketenabschussbasen und schon gar keine CIA-Spionagebunker errichtet.
Bedauerlicherweise für die Ukraine, Russland und den Rest der Welt war Putin nicht mit Sicherheitsexperten vom Schlage eines Carlo Masala gesegnet, und so nahm das Schicksal seinen Lauf.